Irmgard und Ursula, Ihr singt seit 51 Jahren gemeinsam im Sopran, zuerst im Berliner Volkschor, heute im BOC.
Was macht für Euch das Singen im Chor so besonders?
Ursula: Singen befreit die Seele. Manchmal geht man in den Chor und hat keine Lust, weil der Tag bereits viel von einem abverlangt hat. Und nach der Probe denkt man sich, wie schön es doch gewesen ist. Im Chor kommt man mit vielen ins Gespräch, man ist verbunden mit der ganzen Stimmgruppe. Jeder wird in seiner Art geschätzt. Es ist uns beiden wichtig, so lange wie möglich mit dem Singen verbunden zu sein.
Irmgard: Singen vermittelt ein schönes Gefühl, die Musik gibt Kraft in vielen Situationen, auch in schwierigen, und Du kannst innerlich runterfahren. Das Soziale spielt eine wichtige Rolle, denn der Chor kann eine richtige Familie sein. Da fühlt sich niemand wichtiger, niemand sticht heraus, auch stimmlich nicht. Neue Mitglieder nehmen wir immer gleich auf, ohne irgendwelche Hintergedanken. Und je mehr zu uns kommen, desto größer wird die Chorfamilie.
Mit Werken wie der Missa solemnis singen Laien im BOC anspruchsvolle Musik. Hattet Ihr schon Sing-Erfahrung, als Ihr mit dem Chorsingen begonnen habt?
Irmgard: Musik begleitet uns seit unserer Kindheit. Wir haben als Jugendliche viel Radio gehört, waren im Schulchor und mochten ganz verschiedene Musikrichtungen, Schlager, Seemannslieder, Oper, Operette, allerdings kaum Klassik in der Form von Oratorien. Wir sind sozusagen sanft an die Klassik durch Herrn Sell herangeführt worden. Als Laien singen wir im Chor Stücke, an die wir uns sonst vielleicht nie getraut hätten, oder von denen man dachte, die können nur Profis. Fast jedes große Stück ist Neuland, auf dem man neu Fuß fassen muss. Es ist ein Horizont für diese Werke entstanden.
Ursula: Als Laiensänger gewinnst Du die Lust an der Begegnung mit neuen Werken. Man braucht keine Angst haben, sondern bekommt eine Gänsehaut, wenn man so große Werke tatsächlich auf die Bühne bringen möchte. Geradestehen, die Töne sauber rüberbringen. Da spielen Emotionen mit, wenn man versucht, alles an einem neuen Stück gedanklich aufzunehmen. Die Gruppe tastet sich gemeinsam heran, jeder wird von den anderen mitgenommen, das ist etwas Besonderes. So erlebt ein Laie nicht nur Hänschen Klein, sondern erarbeitet Beethovens Neunte, die Carmina Burana, die D-Dur-Messe von Dvorak.
Woran erinnert Ihr Euch in 50 Jahren BOC und Berliner Volkschor besonders gern?
Irmgard: Super war unser Silvesterkonzert 1998 am Brandenburger Tor. Beethovens Neunte, verbunden mit Chören in der ganzen Welt, bis nach Australien. Das Konzert wurde im TV übertragen, und es hat geknistert, als wir kurz vor zwölf Uhr anfingen zu singen. Ein echtes Highlight, das wurde überall gesehen.
Ursula: Die Neunte ist auch ein klein wenig ein Lieblingswerk geworden. Das Mitsingen 1998 am Brandenburger Tor war Aufregung pur. Bloß nicht zu früh einsetzen, genau hinschauen. Es war sehr kalt, da musste man sich sehr konzentrieren, damit man die Töne bekam. Aber es war wie immer, sobald der erste Ton raus war, war es schön. Ein Erlebnis waren auch die „Sternstunden“ 1987 rund um die Siegessäule mit mehreren Chören. Da haben wir zu Texten gesungen und getanzt, das war unbeschreiblich.
… und wenn eine von Euch mal falsch singt, was macht die andere?
Ursula: Das passiert, und man merkt es natürlich. Während der Aufführung reagiert man sofort mit Zurückhaltung. Unter uns Schwestern spricht man nach dem Konzert darüber. Wir sind aber bestimmt nicht die Einzigen, denen so etwas passiert. Fehler während der Probe sind okay, dafür sind wir Laien, mit angeeigneten Notenkenntnissen über die lange Zugehörigkeit. Wir sind keine Blattsänger.