Die Werke des heutigen Programms gehen nicht nur schrittweise in die Musikgeschichte zurück. Sie präsentieren bei aller Vergleichbarkeit der Formgebung einer Epoche die Unterschiede im jeweiligen Trend der Aufführungspraxis. Zwar können wir überregionale und historisch gewachsene Übereinkünfte in der Ästhetik der musikalischen Sprache erkennen, und die Kenntnis musiktheoretischer Schriften der barocken Epoche offenbart Zusammenhänge, die den Eindruck einer europäischen –quasi globalen – allgemeinen Kunst- und Musikauffassung entstehen lassen. Im Hinblick auf regionale Ausprägungen und einen erstaunlich übersichtlichen Zeitrahmen ist die stilistische Vielfalt bei aller Einheit der musikalischen Mittel jedoch beachtlich.
Marc Antoine Charpentier starb 1704 mit 61 Jahren. Im gleichen Jahr wurde (sehr wahrscheinlich) Carl Heinrich Graun geboren.
Die Entstehung seines Weihnachtsoratoriums datiert noch aus einer Zeit vor dem wichtigen Amtsantritt seiner Stelle als Hofkapellmeister im Dienste Friedrich des Großen. Die Uraufführung dieses Werkes ist nicht eindeutig verbürgt, als wahrscheinlich gilt jedoch eine Aufführung in Dresden. Da Graun in Berlin auch für die Komposition und Aufführung von Kantaten im liturgischen Zusammenhang zuständig war, ist eine wiederholte Aufführung während seine Amtszeit nach 1740 nicht unwahrscheinlich.
Der ‚empfindsame’ Stil seiner Kompositionen, die auch das Weihnachtsoratorium unüberhörbar charakterisiert, lag ganz im Mode-Trend der Berliner Musikwelt dieser Zeit. Der preußische Hof war sowohl ein Hort barocker Traditionen, wie auch ein Ort des Aufbruchs in die neue Welt des Rokoko.
Nicht unbeeindruckt von verschiedenen modischen Trendentwicklungen, aber doch recht autark in seiner Handschrift, komponierte J. S. Bach im alten Stil der tief durchdrungenen musikgeschichtlichen Tradition. Das Manuskript und das Aufführungsmaterial zur Kantate Ehre sein Gott in der Höhe sind zu einem beträchtlichen Teil verschollen. Vollständig überliefert ist hingegen die Textvorlage von Picander für den Jahrgang 1728. Es ist jedoch nicht mit Sicherheit festzustellen, ob die verschollene Kantate tatsächlich am 25.12.1728 aufgeführt wurde, der erste Weihnachtstag 1728 oder 1729 mag uns aber in mehrfacher Hinsicht plausibel erscheinen.
Überliefert und in ihrer Authentizität gesichert ist der Schlussteil der Kantate: zwei Arien, dazwischen ein Rezitativ und der Abschlusschoral. Da die beiden überlieferten Arien als Bearbeitungen früherer Werke identifiziert werden konnten, kann angenommen werden, dass die Entstehung der Kantate auf das Umarbeiten bereits bestehender Kompositionen zurückzuführen ist. Dieses Parodieverfahren war ein üblicher Vorgang in der umfangreichen Tätigkeit des Thomas-Kantors. Die Untersuchungen der Wort-Ton-Beziehung zwischen Komposition und Libretto bzw. Textvorlage und die Vergleiche von Handschriften haben Alfred Dürr veranlasst, die Parodiebeziehung zwischen dem Gloria der h-moll-Messe und dem Eingangschor der vorliegenden Kantate festzustellen. Durch das Hinzufügen weiteren Parodien gelang Pieter Dirksen 2022 eine Rekontruktion. Er realisierte damit sein auf Recherche basierendes Konzept einer Komplettierung. Die Kantate erscheint dadurch glaubhaft authentisch und ermöglicht es uns, die fragmentarisch geerbte Komposition vorzustellen.
Bachs musikalische Beziehungen zu französischen Barockkomponisten sind zwar hintergründig, aber dennoch vielfältig. Schon allein politisch-historisch betrachtet, ist das Verhältnis Versailles–Dresden in dieser Zeit bemerkenswert. August der Starke hatte in Louis XIV, dem Sonnenkönig ein ausgemachtes und erklärtes Vorbild. Das Nacheifern zog auch musikalische Konsequenzen am Dresdener Hof nach sich. Ein wichtiges Element der musikalischen Gestaltung war fortan vom Tanz bestimmt. Bach hat diesen Impuls oft aufgenommen und faszinierend integriert, auch wenn er natürlich weder einen französischen ‚Kollegen’ jemals kennengelernt, geschweige denn persönliche Kontakte gepflegt haben dürfte.
Die französischen ‚Kollegen’ kannten Bach in keinem Fall. Das gilt auch für Marc Antoine Charpentier, der als Nachfolger von Jean-Baptiste Lully die Musik am französischen Hof des 17. Jahrhunderts entscheidend prägte, wenngleich er schließlich die Festanstellung beim König nicht erhielt.
Die Aufträge zu verschiedenen Te Deum-Kompositionen anlässlich diverser Siegesfeiern nach vielen überstanden Kriegen der Zeit, verhalfen Charpentier zu großem Ruhm und Ansehen. Das große hinterlassene Oeuvre, zu dem auch Opern und Ballettmusiken gehören, fristet heute eher ein Schattendasein. Seine geistliche Chormusik ist in der Gesamtheit ebenso unbekannt wie beeindruckend umfangreich, bestehend aus zehn Messen, vier Te-Deum-Kompositionen, 207 Motetten und zehn Versionen des Magnificat.
Bekannt und populär ist Charpentier allerdings durch eine Komposition. Mit dem Rondeau als Introduktion für das Te Deum des heutigen Programms hat sich Charpentier als Eurovisions-Held verewigt: Wahrscheinlich ist dieses Te Deum nach dem Sieg der Franzosen bei Steenkerke 1692 entstanden, hat jedoch durch die erwiesene Medientauglichkeit der populären Einleitung den Sieg der Nachwelt gesichert.