Die Biographie des Komponisten Francis Poulenc ist ebenso spektakulär wie ungerade. Der Autodidakt aus gut- bürgerlichem Hause studierte Jura, weil ihm die Aufnahme an das Pariser Konservatorium versagt wurde, nahm privaten Kompositionsunterricht bei Charles Koechlin und schloss sich bald – durch Fürsprache Cocteaus- der Groupe des Six an, die sich um den unkonventionellen Eric Satie versammelte.
Sehr bald machte Poulenc mit Klavierkompositionen und Liedern Furore und schloss Kontakte zu wichtigen Personen der Pariser Musikwelt, unter ihnen die Princesse Edmond de Polignac, eine reiche Witwe und bedeutende Mäzenin der französischen Musik ihrer Zeit. Von ihr erhielt Poulenc schließlich den Kompositionsauftrag für ein Orgelkonzert, das zwischen 1936 und 1938 entstand.
In den 20er Jahren waren Vertonungen zu Gedichten von Max Jacob und Guillaume Apollinaire entstanden, die eine deutliche Distanz zur bürgerlichen und etablierten Kultur- und Musikszene zeigten. Der erste Weltkrieg hatte alte Werte und überkommene moralische Grundsätze unwiederbringlich zerstört. Eine neue Generation erprobte sich im Unkonventionellen, kehrte sich einerseits vom spätromantischen Gestus der Musik einer untergegangenen Epoche wie andererseits vom ‚impressionistischen Schneegeriesel‘ ab und fand Inspiration bei barocken Vorbildern eines Couperin.
Poulenc selbst bekannte sich in den 20er Jahren zu seiner Homosexualität, pflegte enge Freundschaften zu sozialistischen Dichtern der Zeit, die seine spätere Sympathie zur Resistance erklären und wurde zum erfolgreichen Paradiesvogel des musikalischen Salons der Pariser Kulturwelt.
Die unbekümmerte Biographie wurde 1936 durch den Unfalltod seines Freundes, des Komponisten Pierre-Octave Ferraud, erschüttert. Erst die Wallfahrt zur schwarzen Madonna von Rocamadour half ihm, den Verlust zu tragen. Der Besuch dieser Madonna brachte die entscheidende Wende seines Lebens. Poulenc fand zu den Wurzeln seines Glaubens zurück, ohne all das verleugnen zu müssen, was seine Persönlichkeit ausmachte; er wurde zum katholischen Paradiesvogel seiner Zeit, ‚halb Gassenjunge, halb Mönch‘. Diese Etappe seines Lebens und Wirkens nennt er später selbst ‚Poulenc 37‘. Die Jahreszahl bezeichnet den Beginn einer Schaffensperiode, die durch ein umfangreiches Werk geistlicher Musik geprägt ist. 1937 entsteht zunächst ein Werk für Frauenchor und Orgel – später für Streichorchester und Pauken – die ‚Litanies a la Vierge noire‘. Auch sein Orgelkonzert rechnet Poulenc dieser Periode zu, dem aufmerksamen Leser wird die Verwandtschaft in der Besetzung des Orgelkonzertes auffallen (Streichorchester und Pauken).
Ausführlich beschäftigt er sich mit den Eigentümlichkeiten der Orgel und konsultiert Maurice Duruflé, der später die Uraufführung spielen wird. Gegen Ende seines Lebens wendet er sich dieser für ihn bedeutenden Etappe seines Lebens erneut zu. Mit dem Gloria, das zwischen 1959 und 1960 entsteht greift er noch einmal auf eine stilistische Besonderheit zurück, die seine Werke dieser Zeit kennzeichnen: eine tiefe, persönliche Ergriffenheit im Ausdruck einer fast kindlichen Glaubensaussage, ein sinnliches, weil emotional motiviertes Glaubensbekenntnis. Die Deklamation deslateinischen Textes wird quasi auf den Kopf gestellt und erscheint wie neu geschaffen, die Silben werden in ‚falscher‘ Betonung vertont, so dass man den Text zunächst nicht richtig zu verstehen glaubt. Verbunden mit allerlei Anklängen aus der musikalischen Alltagswelt – heute würde man den Begriff ‚Unterhaltungsmusik‘ bemühen- entsteht eine ganz und gar weltliche Atmosphäre, die der ‚heiligen Sprache‘ der ‚musica sacra‘ eine Bodenständigkeit verleiht, die jedem Menschen, der sich unserer modernen Gesellschaft verpflichtet fühlt einen natürlich Zugang ermöglicht. Die Elemente der so genannten U- Musik (Unterhaltungsmusik) sind im Gegensatz zur heutigen Zeit mit künstlerischem Anspruch entstanden und schmiegen sich unproblematisch an die liturgische Textvorlage. Der einzigartige Humor im Umgang mit Liturgie erscheint uns heute weniger skandalös. Anders vor 50 Jahren. Poulenc wehrt sich gegen Vorwürfe: „Der zweite Satz verursachte einen Skandal: Ich frage mich warum? Ich dachte dabei lediglich an die Fresken von Gozzoli, wo die Engel die Zunge herausstrecken, und an die frommen Benediktiner Mönche, denen ich einmal beim Fußballspiel zusah.“
Die Ernsthaftigkeit des Glaubens wird durch die humoristische Sprache der Musik nicht in Frage gestellt, ganz im Gegenteil. Und so schließt sich der Kreis, wenn man die barocken Vorbilder dieser Komposition in Betracht zieht. Vivaldis Gloria, dass in Hinblick auf das Werk Poulencs tatsächlich Vorbild war, zeigt eine ähnliche weltliche Freude, die sich auch nicht unfromm artikuliert. Ein Selbstvergleich Poulencs zeigt die religiöse Grundhaltung des Komponisten. Sie entstammt der Massenet-Oper ‚Le Jongleur de Notre Dame‘. Die Handlung dreht sich um einen Mönch, der nur jonglieren konnte und sich in Anbetung der Mutter Gottes zu Tode tanzte. Sie segnete ihn, als er starb.
Im Hinblick auf die Trias seiner letzten geistlichen Werke – dem Stabat Mater (ein Werk der introvertierten Spätphase), dem Gloria (als Rückgriff auf ‚Poulenc 37‘) und den asketischen ‚Sept repons‘ ( das ‚modernste‘ seiner Werke)- bekräftigt er seinen auf das Jenseits bezogenen Wunsch: „Mögen sie mir einige Tage des Fegefeuers ersparen.“
Puccini hingegen sieht im Fegefeuer des Katholizismus offensichtlich ein Requisit dramaturgisch verbürgter Dogmatik des Glaubens. Die Messa di Gloria ist ein berühmtes, wie eindrucksvolles Zeugnis kirchlicher Opern liturgischer Bestimmung.
Sie entstand zwischen 1878 und 1880 als Abschlussarbeit der Studien in Lucca. Die Musikerfamilie Puccini bekleidete 125 Jahre die Ämter des Stadtorganisten und Leiters des Stadtorchesters in Lucca. Giacomo ,der ‘zweite‘ beschloss jedoch, nur noch Opern zu schreiben, beendete die Lehrzeit in Lucca und setzte sein Studium von 1880 bis 1883 in Mailand fort.
Im Focus der Komposition steht das ‚Gloria‘. Nicht nur die überproportionierte Länge dieses Satzes macht den später hinzugefügten Titel ‚Messa di Gloria‘ plausibel. Der von ursprünglicher und ungetrübter Fröhlichkeit getragene Charakter dieses Satzes entspricht dem liturgischen Text der Engelshymne. Hier wird nicht ideologisiert, hier wird vorbehaltlos das Lob Gottes angestimmt, Anlass, eigene kompositorische Fertigkeiten und handwerkliches Geschick zu zeigen. Das Gloria lässt zudem keinen Affekt und Effekt ungenutzt.
Alle anderen Sätze der Messe ordnen sich unter. Das Credo war bereits 1878 losgelöst aufgeführt worden. Das Kyrie wird als Ableger einer Motette vermutet. Sanctus und Agnus Dei sind im Vergleich zum Gloria außerordentlich kurz. Es wird vermutet, dass für die letzten beiden Sätze nicht genug Zeit zur Fertigstellung der Partitur blieb, war doch die Aufführung der Messe zum Patronat des Heiligen Paolino am 12.7. 1880 fest vorgesehen.
Nach der Uraufführung ist die Messa jedoch nicht mehr gespielt worden, sie verschwand offenbar gezielt in der Schublade des Komponisten, der Auszüge aus dem Kyrie später für seine Oper ‚Edgar‘ und beinahe das gesamte Agnus Dei im zweiten Akt der Oper ‚Manon Lescault‘ verwendete. 1950 wurde das Partitur-Autograph wiederentdeckt und 1951 erstmals gedruckt. Seit dieser Zeit ist es aus dem Oratorien- Repertoire der Konzertprogramme nicht mehr weg zu denken.
Neben der Demonstration ausgesprochener Geschicklichkeit in Sachen des kompositorischen Handwerks, überzeugt Puccini durch sein Talent, prägnante und Opern-kompatible Melodien ‚wie am Stück‘ zu schreiben. Der spätere Opernstil Puccinis ist hier noch nicht zu hören, vielmehr wird die innere Verwandtschaft zu Verdi deutlich spürbar. Der weltliche Gestus dieser Musik erinnert an Aida und lässt seine liturgische Bestimmung vergessen. Es ist unvorstellbar, diese ‚Messa‘ heute in einer katholischen Messe zelebriert zu bekommen. Das ist jedoch betrüblich im Hinblick auf die sinnlichen Freuden, die so eine Art Frömmigkeit auch bereit halten könnte, fern von jeder geheuchelten Form, die uns heute als Sakro-Pop ästhetisch belästigt. Täte nicht ein bisschen Operndramaturgie und weltliche Sinnenfreude unseren Kirchen gut, oder ist das ein frommer Pfingst-Wunsch?