«Nach Bildern der Bibel» nannte man die Bibelwort-Collage in Fanny Hensels Oratorium, bzw. das chor-sinfonische Werk – darin auch die «Cantate für die Toten der Cholera-Epidemie». Ein der Collage-Ästhetik des frühen 20. Jhs. verpflichtetes Werk aus der ersten Hälfte des 19. Ein Werk, das Worte der Klage aus dem Psalter ausschneidet und sie in Vertrauen auf die Propheten-Bücher verwandelt – durch „Bilder“, die keine sind. Lieder, Klagelieder, die in düsteren Zeiten das Mahnende, Warnende der Psalmen und anderer Bibeltexte zu Ermutigung und Lob Gottes werden lassen. „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“ (Psalm 130:1)
Der Text ihres Werks ist zugleich ein Ort, wo das Poetische der Bibel deren Prosa seine Überlegenheit aus Leid und Lied vorführt, auf dass Trauer zu einem Chor-Ort werde, an dem auch die Leidfigur Hiob ihr Lied singt davon, um nicht bloße Leitfigur zu bleiben. Wo die Schere der Prüfung Hiob vom Leben abzuschneiden droht, glüht die Schere der Text-Collage, wer immer sie ansetzte
, die in ihrer polyfonen Anmut dem Leiden ermöglicht, das Reich der Sünde zu verlassen, um in „reiner“ Poesie zu entspringen – um allem Dunkel zu entrinnen …Das chor-sinfonische Werk ist jedoch keine Bühne für jene, die „wie das Gras verdorrt und wie die Blume verwelkt“ sind, und auch Totentanz ist hier fern. Die Bibelverse, Bibelworte und -strophen fließen aus ganz verschiedenen Quellen der heiligen Schrift den „Dahingegangenen“ entgegen. Sie entbehren aller Beliebigkeit, gehen vielmehr minutiös ineinander über, tauschen sich aus, ersetzen sich gegenseitig und werden so zu einem Erinnern („Ihr Gedächtnis aber sei mit euch.“) – zum Erinnern an den wahren Wert des Todes, den wahren Wert des Lebens mithin. Denn dem Tod kommt die Pflicht zu, das Leben lebendig zu machen – Klage-„Briefe“ zu Psalmen des Vertrauens werden zu lassen, zu „Psalter und Harfen“ …
Die Bibel-Collagen rufen „Wehe, weh“ durch Schmerz zu Mut auf und erzeugen taghelle Bilder als Verheißung in von Hoffnungslosigkeit gezeichneter, nächtlicher Zeit. Sie sind aber keine Todeshymnen, kein Abgesang etwa in pandemischer Zeit. In ihrem Oratorium wird der Tod als heilig besungen, „mit Psalter“, um am Ende – ganz gemäß dem Aufbau so vieler Klagepsalmen – über seinen Sieg zu triumphieren, „mit Pauken, Reigen und Posaunen“, da wird der Geduldige, Trost suchende, „der einen guten Kampf gekämpft und Glauben gehalten hatte“, endlich im Halleluja-Jubel belohnt und gepriesen.
Die collagierten Bibelworte stellen auch in aller Düsternis „Zuversicht“ über Sünde, Leid und Tod, denn „die Hand Gottes ist immer ausgestreckt“ – denn „Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, …“ (Psalm 91:4) Hier dürfen – trotz „Traurigkeit und Herzeleid“ – äußere Gewalt und die Schrecken der Menschen in ihr und durch sie nie stärker werden als der Tod – als der Tod, der uns stets das Leben vor Augen führt, bilderlos …
„Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.“ (Psalm 90:12)