Der Geburtstag des Komponisten Richard Strauss jährt sich in diesem Jahr zum 150sten Male. Grund genug, das Aufführungsmaterial eines heute eher selten gespielten Jugendwerkes aus dem Notenkeller unseres Chores zu holen.
Wanderers Sturmlied entstammt der Feder des gerade 20-jährigen Komponisten, der von einer längeren ihn inspirierenden Berlin-Reise im April / Mai 1884 heimgekehrt war.
Die Komposition zeigt eine ungewöhnliche Reife im Ausdruck und außerordentliche Fertigkeit in der Satztechnik. Spürbar ist die große Tradition der romantischen Chorsinfonik im 19. Jahrhundert und das Streben, dem großen Vorbild Johannes Brahms nachzueifern.
Die Berlin-Reise hatte dem noch jungen und unerfahrenen Komponisten Strauss viele Kontakte verschafft und entscheidende Türen geöffnet. Über diese Wege lernte er letztlich auch Johannes Brahms persönlich kennen, der das außergewöhnlich Talent des aufstrebenden Komponisten sofort erkannte. Auch wenn die Ausstrahlung des großen deutschen Romantikers nicht
alle Lebensstationen hindurch anhielt, so ist doch die kompositorische Verbundenheit deutlich auszumachen.
Wanderers Sturmlied steht in enger Linie zu Brahms‘ Schicksalslied oder der Nänie, ganz besondere Ähnlichkeit in der strukturellen Anlage lässt sich zum Gesang der Parzen erkennen: der sechsstimmige Chorsatz und die Vertonung eines Goethe-Gedichtes. Unmittelbare Parallelität gibt es jedoch zwischen Sturmlied und Alt-Rhapsodie. Der direkte Bezug liegt
hier in der Auswahl der Goethe-Texte und der inhaltliche Focus auf dem Thema der Wanderung. Brahms wählte Ausschnitte aus der Harz-Reise, während Strauss einen Teil des Goetheschen Sturmlieds vertont. In beiden Texten beschäftigt sich Goethe mit den klimatischen Unbill einer Wanderung, die eine Reise im Kampf gegen das Wetter darstellt. ‚Das Wandern ist des Müllers Lust’, der Weg ist das Ziel, aber die Abenteuerlust birgt gleichzeitig lebensbedrohliche Gefahren, die wie Prüfungsstationen die Wanderstrecke säumen.
Das vorliegende Gedicht von Goethe ist in mehrfacher Hinsicht komplex und insbesondere für unsere Zeit schwer verständlich. Der durchweg hohe Standard einer – auch für damalige Verhältnisse außergewöhnlich fundierten – humanistischen
Bildung erfordern umfassende Kenntnisse der antiken Mythologie. Der reiche Wortschatz des deutschen Dichterfürsten ist für den geübten Leser gelegentlich eine Herausforderung. Neben der bildreichen Sprache seiner Poesie sind auch die assoziierten Bilder der Dichtung nicht leicht zugänglich.
Das Sturmlied erweckt aus unserer Perspektive den Anschein eines poetischen Vorgriffs in die Moderne, das Gedicht trägt expressionistische Züge und ist doch durch und durch klassisch gebaut.
Wir werden ermutigt, uns selbst zu entdecken und zu entfalten, ein Prozess, der uns den Göttern ebenbürtig macht: „Umschwebt mich, ihr Musen… Das ist Wasser, das ist Erde und der Sohn des Wassers und der Erde, über den ich wandle göttergleich. Ihr seid rein, wie das Herz der Wasser, ihr seid rein, wie das Mark der Erde, ihr umschwebt mich und ich schwebe über Wasser, über Erde, göttergleich.“
Die Entdeckung des eigenen Selbst spielt auch in den Sécheresses von Francis Poulenc eine wichtige Rolle. Hier geht es jedoch nicht um den Kampf im Getöse einer Naturkatastrophe, sondern um die entgegen gesetzte Erfahrung der Dürre, die Leblosigkeit und das Austrocknen des Leben stiftenden Quells.
Francis Poulenc komponierte 1937 mit diesem kleinen Zyklus sein erstes Werk für Chor uns Orchester. Sehr spät wandte
sich dieser Komponist dem Chor zu, mit 38 Jahren war er als Autodidakt schon ein angesehener Künstler in den Pariser Zirkeln der Surrealisten.
Niemand konnte ahnen – am wenigsten Poulenc selbst -, dass er einmal zu den wichtigen Vertretern der modernen französischen Chormusik zählen würde. Die Vorlage der Vertonung wählte er mit Gedichten eines ihm befreundeten
Kunstsammlers und -mäzens. Insbesondere Picasso und Dali verdanken Edward James eine notwendige Unterstützung.
Die Gemälde gerade dieser beiden Maler passen gut zu den poetisch motivierten Bildern der Gedichte.
Die musikalische Sprache des Komponisten Poulenc widersteht der Verführung, diese Bilder mit einer weiteren ‚Farbschicht’ klanglich zu untermalen. Mit musikalischen Utensilien des Alltags fügt er Kommentare an, lässt aber Platz für eigene Assoziationen. Der ganz persönliche und unverwechselbare Ton des unverkennbar französischen Komponisten, ist in seinem
‚frühen’ Werk noch nicht ausgereift, aber erkennbar. Wir können in den Spuren dieses Werkes Indizien einer künftigen Handschrift ausmachen.
Der Berliner Oratorien-Chor hat die Ehre, dieses Werk als Berliner Erstaufführung präsentieren zu dürfen. Wir schätzen uns glücklich, damit den Kreis der Chorwerke Poulencs zu schließen, nachdem wir mit den „Sept Répons“ 2008 die Berliner Erstaufführung des letzten Chorwerks von Poulenc vorstellen durften. Den surrealistischen Ausgangspunkt der Sécheresses hat Poulenc im späteren Chormusikschaffen nur noch gelegentlich aufgesucht. Der Schwerpunkt verlagerte sich zunehmend auf das geistliche Werk.
Das 1951 entstandene Stabat mater ist sowohl in der Struktur als auch inhaltlich dem Spätwerk zugehörig. Es verkörpert das Gebet im Andenken an die leidende Mutter Maria, die ihren Sohn verliert, auf eine sehr persönliche und emotionale Weise. Die historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben einen tiefen Eindruck im Kontext der Vertonung des alten kirchlichen Gedichts hinterlassen. Dennoch durchzieht Poulenc sein bekennendes Gebet mit tänzerischen Passagen und heiteren Abschnitten.
Der Ausgang ist voller Hoffnung, wenn auch ein wenig verhalten durch den sich nicht auflösenden Schlussakkord des Orchesters, der wie ein Fragezeichen am Ende des Werkes stehen bleibt und den Weg offen lässt, der noch zu beschreiten ist und erwandert werden muss.
Drei Jahre vor der Entstehung des Stabat mater vollendete Richard Strauss 1948 vier Kompositionen, die erst nach dem Tod des Komponisten veröffentlicht und aufgeführt wurden. Sie sind posthum zusammen gefasst und mit dem Titel „Vier letzte Lieder” versehen worden.
Strauss wählte drei Gedichte von Hermann Hesse (der ob der Wahl skeptisch blieb, da er den Komponisten Richard Strauss wenig schätzte) und ein Gedicht von Joseph von Eichendorff. Resümierend blickt der letzte deutsche Spätromantiker in seinem als Vermächtnis hinterlassenen Werk zurück.
Die von Ernst Roth, dem Herausgeber dieser letzten Werke, eingeführte Abfolge des Liederzyklus wird durch das Eichendorff-
Gedicht ‚Im Abendrot’ beschlossen. Der Opern- und Liederkomponist zitiert sich selbst und lässt das Hauptmotiv seiner
sinfonischen Dichtung ‚Tod und Verklärung’ aus den frühen Tagen seiner ersten großen Erfolge in der Vertonung der letzten
Gedichtzeile erklingen: ‚Wie sind wir wandermüde – ist dies etwa der Tod?’….